Pierre-Laurent Aimard
29.06.2025
20:00 - 22:00 Uhr

Pierre-Laurent Aimard

Wir stellen uns die Szene vor. Ein Theatersaal, dicht gefüllt mit Menschen, die gebannt auf den Beginn des angekündigten Stücks warten. Plötzlich erscheint auf dem schwarzen Vorhang eine Leuchtschrift: „Gott ist tot (Nietzsche)“. Nach wenigen Sekunden verlischt die Schrift. Atem- und Denkpause. Dann erscheint eine zweite Leuchtschrift: „Nietzsche ist tot (Gott)“. Leises Gelächter im Dunkeln.

Es hat diese Szene tatsächlich gegeben, vor vielen Jahren, am Berliner Ensemble, bei einer Aufführung von George Taboris „Goldberg-Variationen“. Olivier Messiaen war völlig frei von solchen ­Verlustängsten. Er ruhte tief in seinem Glauben – kaum zufällig spielte dieser „Musi­ker des Unsichtbaren und Unerhörten“ (Jean-Rodolphe Kars) 61 Jahre lang die Orgel an der Eglise de la Trinité in Paris, dem Ort seiner spirituellen wie musikalischen Verwurzelung. Gott, so abstrakt er als Figur erscheinen mag, war für Messiaen immer eine Art Gesprächspartner. Mit ihm vermochte er den tieferen Sinn der Trias der theologischen Tugenden Glaube, Hoffnung und Liebe gewinnbringend zu „diskutieren“; das wird in zahllosen seiner Kompositionen evident. Und in manchen von ihnen kann man das Leuchten des Himmels, die göttliche Kraft, sogar förmlich sehen. Wie ernst es dem französischen Komponisten damit war, wie sehr er dem Geheimnis des spirituellen Lebens auf der Spur war, verdeutlicht jene ­Passage aus seiner (einzigen) Oper „St. François d’Assise“, wo er seinem Titelhelden just zu dem Zeitpunkt, da dieser sich bereitmacht, dem höchsten Richter entgegenzutreten, Worte Thomas von Aquins in den Mund legt, die als eindeutiges Glaubensbekenntnis des Komponisten Olivier Messiaen verstanden werden dürfen: „Herr! Herr! Musik und Poesie haben mich in deine Nähe geführt: durch das Abbild, durch das Symbol und durch das Fehlen von Wahrheit (…) Herr! Herr! Erleuchte mich durch Deine Gegenwart! Erlöse mich, mache mich trunken, blende mich für immerdar durch deine Überfülle an Wahrheit.“ 

Diese Sentenz kann als imperatives Credo Messiaen’schen Komponierens verstanden werden. Und mag dies in Zeiten von Agnostizismus, Atheismus und Anthropozentrismus nostalgisch anmuten, so findet man in seinem Œuvre kaum Spuren einer Abnutzung: Aura und Charisma der Zeit sind ungebrochen. Es genügt dazu, ein Werk wie die „Vingt Regards sur l’Enfant-Jésus“ für Klavier anzuhören. Messiaen schrieb diesen Zyklus gegen Ende des Zweiten Weltkrieges auch als Pamphlet gegen eine zunehmend gottlos gewordene Welt. Zwei Jahre später versuchte er sich an einer Einordnung der genuin eigenen Poetik: „Ich habe versucht, ein christlicher Musiker zu sein und meinen Glauben zu singen, ohne dass es mir je gelungen wäre (…) Ich weiß wirklich nicht, ob ich eine ‚Ästhetik‘ habe, aber ich kann sagen, dass meine Vorliebe einer schillernden, raffinierten, ja wollüstigen, aber natürlich nicht sinnlichen Musik gilt. Einer Musik, die singt. Einer Musik, die ein neues Blut, eine zeichenhafte Geste, ein unbekannter Duft, ein Vogel ohne Schlaf sein soll. Einer Kirchenfenster-Musik, einem Kreisen von komplementären Farben. Einer Musik, die das Ende der Zeit, die Allgegenwart, die verklärten Leiber und die göttlichen wie übernatürlichen Mysterien ausdrückt. Einem ‚theologischen Regenbogen‘.“ Sucht man nach einem Musiker, der imstande ist, diesen „theologischen Regenbogen“ ans Himmelszelt zu zaubern, landet man unweigerlich bei Pierre-Laurent Aimard. Ohnehin einer der großen Pianisten der Gegenwart, hat sich Aimard vor allem als Interpret der Klavierwerke Messiaens (mit dem er befreundet war, und bei dessen zweiter Frau Yvonne Loriod er am Conservatoire supé­rieur in Paris studierte) höchste Meriten erworben. Kein zweiter ­Pianist vermochte die Idiomatik von dessen Klangsprache so sehr in ihrer ganzen poetisch-spirituellen Vielfalt zu erfassen. Doch nicht als (be-)lehrender tritt dieser Künstler vor uns hin, wenn er ­beispielsweise die „Vingt Regards“, den „Catalogue d’oiseaux“ oder die „Quatre Etudes de rythme“ spielt. Seine große, fast einsame Kunst besteht darin, dass er auch in dieser streng durchorganisierten Klangwelt intellektuelle Abgeklärtheit mit großer Emotion zu verknüpfen vermag, dabei stets auf dem schmalen Grat zwischen objektivierender Distanz und subjektivistischer Vertrautheit balancierend. Und dass er all dies auch auf seine Studierenden zu übertragen wusste, die nun nach und nach in seine Fußstapfen treten.

Eine Erinnerung tieftrauriger wie hochgradig religiöser Natur evoziert jenes Werk, das Olivier Messiaen im Wesentlichen während der Wintermonate 1940/41 im „Stalag VIII A“ in Görlitz verfasste: das „Quatuor pour la fin du temps“. Der Schmerz des Alltags verband sich auch hier mit einer „höheren“ Idee, mit der biblischen Offenbarung des Johannes. Jenem Engel, der in dieser Apokalypse das Ende der Zeit verkündet, ist das achtteilige Opus gewidmet. Die ungewöhnliche Besetzung war dabei den Umständen geschuldet: Neben Messiaen, der bei der Uraufführung Anfang April 1941 am Klavier saß, waren auch der Klarinettist Henri Akoka, der Geiger Jean le Boulaire und der Cellist Etienne Pasquier Insassen des nationalsozialistischen Strafgefangenenlagers. Das „Quatuor pour la fin du temps“ bildet ihre Wirklichkeit ab: Es ist ein Werk der Tag-, Nacht- und Albträume, eines, in dem sein Schöpfer nach eigenem Bekunden „den Regenbogen des Engels“ sowie „ein seltsames Kreisen von Farben“ entdeckte; aber auch eines, das bei aller Tristesse weit nach oben blickt: dorthin, wo jene Engelsstimmen zu hören sind, an die Olivier Messiaen ein Leben lang glaubte. Im „Quatuor pour la fin du temps“ scheint die Grammatik der Schöpfung und des unauslöschlichen Lichts auf – als Parabel, als introspektiv-ekstatisches Klangereignis und nicht zuletzt auch als ein Beleg dafür, dass Nietzsche womöglich doch irrte, als er, wenn auch schweren Gewissens, den Tod Gottes proklamierte.

Eintrittspreise


€ 30–35

Bildnachweis

Marco Borggreve

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